Von Grenzstein zu Grenzstein
Durch das Schradenland führt jetzt ein neuer Wanderweg. Er beschäftigt sich mit den Grenzmarkierungen.
(von Henry Müller)
Im Baudaer Steinmetzbetrieb Thierichen wurde die Grenzsäule mit der Nummer 168 neu gefertigt. Steinmetz Jörg Günther bringt hier das Muster für die einzuarbeitende Schrift mittels Schablone auf. Vorhandene Grenzsteine und Dokumente bildeten die Vorlage dazu. (Foto: K.-D. Brühl/Text: Henry Müller/SZ vom 13. März 2014)
Dort, wo jetzt Preußen Sachsen küsst, stehen seit fast 200 Jahren unscheinbare Grenzsteine mit fortlaufenden Nummern und der geheimnisvollen Aufschrift KP und KS. Diese Buchstaben stehen für Königreich Preußen bzw. Königreich Sachsen. Im Bereich des Amtes Schradenland gibt es heute noch mehr als 20 dieser stummen Zeitzeugen. „Die meisten von ihnen sind aber in keinem guten Zustand, zwei sind sogar schon ganz von der Bildfläche verschwunden“, ärgert sich Gert Oßendorf, der Vorsitzende des Merzdorfer Heimatvereins. Er führte im Großenhainer Alberttreff virtuell auf der 25,8 Kilometer langen Route, welche die Grenze des Amtes Schradenland zum Kreis Meißen bildet. Zu dieser Grenzziehung war es nach dem Wiener Kongress von 1814/15 gekommen, bei dem ganz Europa neu aufgeteilt wurde. Durch das Bündnis des sächsischen Kurfürsten Friedrich August III. (Als König: Friedrich August I.) und Napoleon I., wurde Sachsen zwar 1806 Königreich, verlor aber nach dem Sturz Napoleons über die Hälfte seines damaligen Territoriums sowie 42 Prozent der Bevölkerung. Die neue Grenze kennzeichnete man zunächst mit Holzpfählen, die später durch markante Steinsäulen ersetzt wurden. Sie beginnt in Seidenberg mit Stein Nummer 1, führt in westlicher Richtung an der Wittig entlang, überquert bei Radmeritz die Neiße und setzt sich dann quer durch die Oberlausitz fort. Von der Nummer 1 bis zur 81 wurden die Steine paarweise gesetzt und neben der Nummer farblich gekennzeichnet: der sächsische Stein weiß-grün, der preußische weiß-schwarz. Oßendorfs Gebiet beginnt bei Großthiemig am Grenzstein 160 in Höhe der Grenze zum Oberspreewald-Lausitz-Kreis und geht bis kurz hinter Merzdorf an den Beyerteichen zum Grenzstein 176. Diese Strecke ist durchgehend begehbar. Das ist weitestgehend der Verdienst von Gert Oßendorf, denn er ist Tourismusbeauftragter des Amtes Schradenland. „Entstanden ist die Idee aber schon weit vorher, da ich mich mit den Grenzsteinen um Merzdorf sehr intensiv beschäftige. Nun ist der Weg eine weitere Bereicherung für die wandertouristisch bereits gut erschlossene Schradenregion“, verrät er. Auf seine Initiative ist auch die Errichtung eines rekonstruierten Grenzsteines zurückzuführen. „Der Baudaer Steinmetz und Steinbildhauer Armin Thierichen hat uns dabei sehr geholfen. So können wir am 31. März endlich einen Grenzstein präsentieren, der nicht vom Zahn der Zeit zerfressen ist“, freut sich der passionierte Touristiker. Am 6. September, also am „Tag der Sachsen“, beginnt um 9 Uhr die nun schon sechste Grenzsteinwanderung entlang der Grenze zum Heidebergturm und zurück nach Merzdorf zum Vereinsgelände. Bereits am 31. März wird im Dorfgemeinschaftshaus Merzdorf eine Fotoausstellung mit dem Titel „200 Jahre historische Grenze Sachsen/Preußen“ eröffnet. Diese ist bis zum 16. April geöffnet. „Wo Preußen Sachsen küsst“ heißt die Dachmarke der ersten brandenburgischen Landesausstellung, die vom 7. Juni bis zum 2. November auf Schloss Doberlug stattfindet. In ihr werden anlässlich des 200. Jubiläums des Wiener Kongresses Szenen einer Nachbarschaft dokumentiert. In Doberlug deshalb, weil das sächsische Gebiet bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts bis weit ins heutige Brandenburg reichte. Die Grenze lag etwa 50 Kilometer südlich vor Potsdam. Spuren dieser Vergangenheit finden sich in Südbrandenburg bis heute, so zum Beispiel die sächsischen Postsäulen in Elsterwerda, Uebigau-Wahrenbrück, Senftenberg oder Ortrand. Es gibt aber auch andere Verbindungen zum südlichen Nachbarn. So gehört zum Beispiel die Kirchgemeinde Merzdorf zum Frauenhainer Kirchspiel. „Nach der Wende wurde eine Volksbefragung mit dem Thema durchgeführt, ob die Bürger der Schradener Region zu Sachsen oder Brandenburg gehören wollten. Wir haben uns für Sachsen entschieden, aber die Herren der Landesregierung in Potsdam haben uns damals nicht freigegeben“, kommentiert Oßendorf ein weiteres Kapitel gelebter Demokratie. Sie durften also nicht „zurück“, denn spätestens zu Beginn des 15. Jahrhunderts gehörte das Schradenland zum Territorium des sächsischen Amtes Hayn. 1815 kam der Schraden von der „Großenhainer Pflege“ des Königreiches Sachsen zum Herzogtum Sachsen des Königreiches Preußen (Regierungsbezirk Merseburg, Kreis Liebenwerda). 1583 erfolgte die Teilung des 4 925 Hektar umfassenden Schradenwaldes. Der Anteil des kursächsischen Staates am Schraden wurde im 16., 17. und 18. Jahrhundert stark vergrößert. So verkauften 1586 die Herrschaft Frauenhain ihren gesamten Schradenabschnitt, die Herrschaft Strauch im Jahre 1615 etwa zwei Drittel ihrer Schradenwaldfläche. 1727 ging die Herrschaft Elsterwerda mitsamt dem Elsterwerdaer Schraden an den sächsischen Staat über. Oßendorf hat schon immer den Kontakt in den benachbarten südlichen Landkreis gesucht, und das nicht nur auf touristischer Ebene. Seine enge Beziehung zu Sachsen hat wohl auch seinen Ursprung darin, dass Oßendorf in den 50er Jahren in Großenhain lebte.
Grossenhainer Zeitung vom 13. März 2014